In Weihnachtszeiten by Hesse Hermann

In Weihnachtszeiten by Hesse Hermann

Autor:Hesse, Hermann [Hesse, Hermann]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Insel Verlag
veröffentlicht: 2015-09-08T16:00:00+00:00


Süß blickte aus dem Goldglanz der verfließende Purpur, straff spannte sich über die Flügelrippen die feste schwarzgrüne Zeichnung, spielend zielten die schlanken Farbenzacken ihre Lichtpfeile hinaus . Holder Gast du, entzückender Fremdling! Bist du eigens aus Madagaskar hergeflogen, um mir einen Winterabend mit Farbenträumen zu füllen? Bist du eigens aus dem großen Farbkasten der ewigen Mutter entlaufen, um mir das alte Weisheitslied von der Einheit der Gegensätze zu singen, um mich wieder zu lehren, was ich schon so oft gewußt und so oft wieder vergessen habe? Hat dich eigens eine geduldige Menschenhand so sauber präpariert und auf deinem Zweige festgeleimt, um einen kranken Mann eine einsame Stunde lang mit deinen blitzenden Spielereien zu entzücken, mit deinen stillen Träumen zu trösten? Hat man dich getötet und unter ein Glas gepreßt, damit dein verewigtes Leiden und Sterben uns tröstlich sei, so wie uns das verewigte Leiden und Sterben der großen Dulder, der echten Künstler merkwürdigerweise lieb und tröstlich ist, statt uns mit seiner Verzweiflung die Seele auszuhöhlen?

Über die schimmernden Goldflügel spielt blasser das abendliche Licht, langsam erlischt das rötliche Gold und bald ist der ganze Zauber, von der Finsternis geschluckt, nicht mehr zu sehen. Aber er spielt dennoch das Spiel der Ewigkeit fort, das tapfere Künstlerspiel um die Dauer des Schönen – in meiner Seele spielt das Lied fort, in meinen Gedanken zucken die Farbenstrahlen lebendig weiter. Nicht vergeblich ist der arme schöne Falter in Madagaskar gestorben, nicht vergeblich hat eine ängstliche Hand seine Flügel und Fühlhörner und Sammetpelzchen so sauber präpariert und unvergänglich gemacht. Lange noch wird der kleine einbalsamierte Pharao mir aus seinem Sonnenreich erzählen, und wenn er längst zerfallen ist und auch ich längst zerfallen bin, dann wird irgendwo in einer Seele noch etwas von seinem seligen Spiele und weisen Lächeln blühen und wird sich weiter vererben, so wie das Gold des Tutenchamon noch heute glänzt, und das Blut des Heilands noch heute fließt.

(1928)



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